„Agilität ist eine Haltung, keine Methode“, erklärt mir Richie im Interview. In der Speakerausbildung bei Alexander Hartmann lernten wir uns 2019 kennen. Das Interessante: Richard Seidl und mich verbindet mehr als nur die Bühne. Uns verbindet das Thema Digitalisierung. Und uns verbindet die Einstellung dazu.
Wikipedia schreibt über den gebürtigen Wiener u. a. : „Er ist Autor mehrerer Artikel und Fachbücher zum Thema Softwaretest, Testautomatisierung und Agiles Testen…“ Im heutigen Blog-Artikel verrät er einen Blick hinter die Kulissen und offenbart das Geheimnis erfolgreicher Projekte.
Agilität ist eine Haltung
Was mir besonders gut gefallen hat, ist die Aussage, dass Flexibilität die Zielerreichung nicht behindert, sondern ermöglicht. Im Interview berichtet der Wiener, der heute in Essen lebt, von seinen interessanten Erfahrungen – und auch, was er aus seiner Zeit im Silicon Valley und Shenzhen mitgenommen hat.
„Die Digitalisierung wird nicht kommen – sie ist schon längst da! Um mit Technologie eine lebenswerte Zukunft zu erschaffen, braucht es vor allen Dingen Menschlichkeit“, so schreibt es Richard Seidl auf seiner Website.
Der ein oder andere hat schon von agilen Methoden, Modellen des Projekt- und Produktmanagements gehört: Scrum oder Kanban. Scrum verkörpert laut Wikipedia die Werte der agilen Softwareentwicklung:
- Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
- Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.
- Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen.
- Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
Für Richie ist Agilität mehr als das – Agilität ist ein Mindset, eine Haltung. Der Mensch steht für ihn im Mittelpunkt. Und Kommunikation ist ebenso wichtig wie eine Vision, die von jedem Einzelnen im Unternehmen, gelebt wird. Durch den regelmäßigen Austausch und die Erlaubnis zum Querdenken kann sich der Plan verändern. So kommt es vor, dass Anpassungen notwendig werden, um das Ziel zu erreichen. Das ist das Leben: agil bleiben.
Leben bedeutet Veränderung
„Wie bist du dahin gekommen, wo du heute bist?“, so startet unser Gespräch. Und Richie lächelt und antwortet spontan: „Ich bin mit der Technik groß geworden, hab Nachrichtentechnik gelernt… kam in die IT – in die Softwarebranche – hinein und hab programmieren gelernt; also richtig Software entwickeln – die ganzen Prozesse dazu. Dann bin ich dort gelandet, wo ich lange Zeit auch tätig war: als Experte im Bereich Software-Testing, Software-Qualität. In dieser Zeit hab ich auch sechs Bücher geschrieben und Unternehmen beraten.“
AL: „Mensch, Methoden, Tools, Methoden, Umfeld“, das sind für dich wichtige Elemente, die zusammenwirken müssen. Wie kamst du zu dieser Erkenntnis?“
RS: „Wenn man Software testet, dann ist man in einer schwierigen Situation, weil jemand voller Leidenschaft etwas programmiert hat und du gehst hin und bist nur dafür da, darin Fehler zu finden. Das kann man so positiv sehen wie man will, z. B. dass dadurch die Qualität besser wird. Und da ist mir bewusst geworden: Es gibt noch andere Faktoren als die rein fachlichen. Das hab ich dann geübt. Wie kann man Kritik wohlwollend formulieren? Wo Menschen sind, da menschelt´s eben auch.
2005 kamen dann die Impulse aus der agilen Welt – mit Scrum und Kanban. In den agilen Projekten gab es Fragestellungen wie: Was hat den meisten Business Value? Wir planen jetzt nicht das Gesamtprojekt, sondern: Was können wir in den nächsten 2 Wochen schaffen? Wir kommunizieren viel, tauschen uns regelmäßig aus, arbeiten ganz eng zusammen – all diese Mechanismen, die da so drinnen stecken. Da ist mir schnell klar geworden, dass ein ganz neues Level erreicht worden ist. Da hab ich dann gemerkt, es geht vielmehr darum, wie man menschlich miteinander agieren kann. Das sind für mich heute die 2 Pole: Digitalisierung – Technologie – Fachlichkeit auf der einen Seite und der Mensch auf der anderen Seite.“
Jeder geht seinen eigenen Weg
AL: „Das heißt, diese „menschliche“ Komponente bekam für dich dann einen besonderen Stellenwert?“
RS: „Ja, genau. Dann hab ich mit Ausbildungen begonnen… Trainer- und Coach-Ausbildungen, Kommunikation und Führung, NLP. Das war total ungewohnt für mich – so als IT-Nerd.“
AL: „Was machst du genau heute?“
RS: „Bei den Prozessthemen unterstütze ich die Teams, dass sie ihren agilen Weg finden, erfolgreich zu werden. Damit sie selbstorganisiert, mit Transparenz und Selbstverantwortung vorwärts gehen, um Ziele zu erreichen. Ihren eigenen Weg finden.“
Agilität: Erfahrungen aus dem Silicon Valley
AL: „Du warst 2019 im Silicon Valley. Welche Erfahrungen hast du von dort mitgenommen?“
RS: „Dort gibt es ein spannendes Öko-System, so ein Kreislauf, wo schon in den Schulen und Universitäten ein Netzwerk existiert, wo der Kontakt zu Startups und zu Unternehmen besteht. Dann bist du da direkt mit dabei. Und dann die Unternehmenskultur selbst. Die Firmen gucken, dass die Mitarbeiter schön in „ihrer Bubble bleiben“. Dann gibt es am Wochenende zum Beispiel ein gemeinsames Barbeque. Sie leben das agile Mindset, können aber mit den Begriffen gar nicht viel anfangen. Agil ist man dann, wenn man nicht mehr drüber spricht.“
AL: „Heißt das, dass deiner Meinung nach die Digitalisierung bei uns eine Persönlichkeitsentwicklung braucht? D. h. dass sich das Mindset in den Köpfen verändern muss?“
RS: „Ja, das ist das, worum es geht. Bei uns herrscht viel Angst vor der Digitalisierung, dass der Job dadurch verloren geht. Natürlich auch zum Teil berechtigt, weil unsere Automobilbranche, die Bankenbranche, die Medizintechnik – das sind die größten Arbeitgeber in Deutschland mit ihren ganzen Zulieferketten dahinter – die sind quasi alle auf der Abschussliste der Digitalisierung. Angst ist da ein schlechter Berater. Die Digitalisierung wird nicht weggehen. Aktuell geben China und Amerika den Takt vor und wir müssen eher schauen, wie können wir zum Gestalter werden, die Technologie als etwas Wertvolles nutzen, um etwas Positives daraus zu schaffen? Etwas, das zu unseren Werten passt. Dafür braucht es ganz klar Persönlichkeitsentwicklung in den Unternehmen und jedem einzelnen.“
Shenzhen – das Silicon Valley für Hardware
AL: „Du hast gerade auch China erwähnt. Welche Erfahrungen hast du denn dort gesammelt?“
RS: „Das, was Sillicon Valley an Software macht, das ist Shenzhen für Hardware. Das ganze Land verfolgt ein Ziel: Wieder das werden, was sie früher schon waren: die Weltmacht. Und ein gemeinsames Ziel gibt Kraft. Da gibt es ganz viel mit Überwachung, den gläsernen Menschen. Wenn die Ampel rot ist und du als Fußgänger über die Straße gehst, dann siehst du zum Beispiel dein Bild auf dem Display auf der anderen Seite. Du wirst also angeprangert. Das ist aber gar nicht nur schwarz/weiß. Viele finden das aber auch positiv. So spielt das Thema „Kindesentführung“ keine Rolle mehr. Die Kameras halten alles fest und Delikte können in ein paar Minuten aufgeklärt werden.“
AL: „Was hast du jetzt für dich mitgenommen?“
RS: „Für mich persönlich ist klar geworden, dass beide Systeme – Amerika und China – nicht nur gut oder nur schlecht sind. Alles hat sein Für und Wider. Wir brauchen auch einen Weg – für Deutschland und Europa. Den haben wir aktuell nicht. Und wir müssen schauen, was ist denn unser Weg? Was heißt Digitalisierung für Deutschland? Das ist die Frage, die mich aktuell beschäftigt.“
AL: „Überwachung beschäftigt auch hier bei uns viele Menschen.“
RS: „In China sieht man ja, wie sich das entwickeln kann. Und das ist etwas, was ich hier für mich nicht möchte – auch im Internet nicht. Da ist Deutschland und Europa ja sehr wachsam. Thema Datenschutz, Tracking-Verbote und wer welche Daten erheben darf, auch die Abkommen mit anderen Ländern und so was. Aber es wird auch übertrieben. Ganz ehrlich: Wer liest denn überhaupt die Datenschutzerklärung, die wir zum Beispiel im Hotel oder sonstwo abnicken? Viel wichtiger finde ich, dass Otto-Normal-Verbraucher im Internet geschützt sind und die Daten sinnvoll erhoben werden.“
Technologie & Menschlichkeit – Tools & Methoden
AL: „Du bist nicht nur Autor, sondern hältst auch Vorträge. Zumindest vor Corona war das ja noch möglich. Was sind deine Themen?“
RS: „Einer meiner letzten Vorträge war zum Thema „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein Kicker nicht agil“. So funktioniert das nämlich nicht. Erst wenn alles zusammenspielt – Menschen, Methoden, Tools, Umfeld und Mindset – erst dann entsteht Potentialentfaltung und Innovation. Dann wird Agilität zur Haltung des Teams. Das ist aber ein herausfordernder Prozess, der auf verschiedenen Ebenen parallel läuft und insbesondere Verständnis und Empathie für alle Beteiligten braucht. Und dazu möchte ich mit meinen Keynotes anregen. Leider wurde mein Auftritt bei der Greator GEDANKENtanken Rednernacht wegen Corona vorerst verschoben. Aber am 20. Mai gab es meine Online-Keynote zum Thema „Es ist nicht alles agil, was glänzt.“ Da hab ich über die Herausforderungen von Digitalisierung und Agilität gesprochen.“
AL: „Das heißt, du sprichst über die Agilität, die Digitalisierung und über den Menschen. Gibst du zusätzlich auch Empfehlungen zu Tools und Methoden?“
RS: „Das ist für mich ganz klar, dass ich Werkzeug brauche, um mein Ziel zu erreichen.“
AL: „Ich möchte das Bild an der Wand. Dazu brauche ich dann zum Beispiel den Hammer. Meinst du das so?“
RS: „Genau. Ich brauche Werkzeuge und Methoden, um etwas gestalten zu können. Da gibt es ja mittlerweile so viel. Auch für Unternehmen. Wenn ein Unternehmen agil werden möchte, würde ich mit einem etablierten Framework wie Scrum starten. Dazu nimmt man sich unterstützende Tools, zum Beispiel ein physisches Board oder ein elektronisches wie Jira oder Trello. Damit kann man beginnen, Aufgaben transparent zu machen. Und dann wird es spannend. Über Retrospektiven, das sind Rückschauen, die man so alle 2-4 Wochen macht, beginnt das Team zu überlegen: Taugt das Tool oder die Methoden? Wo müssen wir Scrum „verlassen“, um unseren eigenen agilen Weg zu finden? Wie können wir agile Werte noch besser leben? Was hat funktioniert oder was hat nicht funktioniert?“
Agilität mit Trello
AL: „Gibt es auch Tools, die du für deinen Alltag nutzt?“
RS: „Ja klar. Zum Beispiel nutze ich Listen – aktuell in Trello – um meine Aufgaben für die Woche zu priorisieren und abzuarbeiten:
?Incoming: Hier kommt manuell oder per Mail alles rein, was wie ein To-do aussieht
?Backlog pro Projekt / Bereich (aktuell 6): Hier sind die To-dos priorisiert und ausformuliert. Das wichtigste oben.
?In Progress: hier sind 3 – 4 Aufgaben, die gerade in Arbeit sind.
?Done: klar, hier alles, was geschafft ist.
Die Listen sind bei mir von rechts nach links angeordnet, sprich ganz rechts ist “Incoming”, ganz links “Done” – das visualisiert mir persönlich das Pull-Prinzip besser.
Erfolgsfaktoren für mich: dranbleiben, regelmäßig Incoming und Backlogs durchsehen, aktualisieren – und das Wichtigste: immer wieder schauen, dass dort keine “sollte ich mal machen” Dinge landen. Diese kommen entweder aufs Ideen-Board oder werden – tadaa – gelöscht.
Agilität bedeutet auch „abschalten“
AL: „Wo wir gerade vom Alltag sprechen. Wie nimmst du die Entwicklung im Alltag wahr?“
RS: „Jeder hat sein Handy und nutzt es für Facebook, Instagram, Spiele und bekommt ständig irgendwelche Notifications. Für mich ist das Handy ein Werkzeug, das ich kontrollieren kann. Ich stelle diese Störungen einfach ab. Und das spielt auch in den agilen Gedanken rein. Denn da geht es drum, in einem kurzen Zyklus etwas zu schaffen.
Dazu gehört auch, dass ich viel automatisiert hab. E-Mails werden weggefiltert, es wird kaum noch Papier bewegt – da tut sich viel.“
AL: „Vielen Dank Richie! Das waren tolle Anregungen zum Thema Agilität. Und wer noch mehr von dir wissen möchte, kann dich auch ansprechen oder anschreiben?“
RS: „Ja klar. Gerne. Meine Kontaktdaten und Informationen gibt es auf meiner Website www.richard-seidl.com.
Und was sagen die Menschen über ihn?
„Richard hat einen einzigartigen Zugang zur Digitalisierung. Er kombiniert sein Wissen über Technologie und Software mit Empathie und Menschlichkeit und schafft es daher komplexe Themen verständlich darzustellen und Lösungen zu zeigen, an die man vorher nicht gedacht hat…“, so lautet eine von vielen Stimmen auf Proven Expert, einem Portal für Kundenbewertungen. Dort werden seine Top-Kompetenzen hervorgehoben: Professionalität, Zielerreichung und Flexibiliät.
Ich freue mich, dass wir dieses tolle Gespräch und viel Spaß dabei hatten. Und wer weiß, wo unsere Wege sich demnächst wieder kreuzen.
Wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, freue ich mich über Ihre Kommentare und wünsche Ihnen eine gute und vor allen Dingen gesunde Zeit!
Ihre
Alexandra Langstrof